Begabtenförderung am KKG - 2. Erläuterungen

2. Erläuterungen

2.1 Intellektuelle Hochbegabung

Der grundsätzliche Anspruch – nicht nur – des deutschen Schulwesens, allen Kindern und Jugendlichen durch ein differenziertes schulisches Angebot gerecht zu werden, schließt auch die Gruppe der intellektuell besonders und hoch Begabten ein. Um das Recht jedes Kindes auf eine optimale Entfaltung seiner Anlagen und Potenziale im Schulunterricht sicherstellen zu können, bedarf es einer verstärkten Beschäftigung mit dem Begabtenbegriff in der Theorie und vermehrter Anstrengungen bei der Umsetzung sachgerechter Konzeptionen zur Begabtenförderung in der Praxis. Besondere bzw. hohe intellektuelle Begabung setzt sich – entgegen anders lautenden Auffassungen – keineswegs immer von alleine durch, sondern bedarf zu ihrer optimalen Entfaltung geeigneter Förder- und Fordermaßnahmen. Da besondere bzw. hohe Begabung sich in recht unterschiedlichen Leistungsbereichen realisieren kann, sind entsprechend differenzierte und individualisierte Förderprogramme zu entwickeln.

Intellektuelle (Hoch-)Begabung ist zunächst ein – unsichtbares und häufig auch unauffälliges – Potenzial, das nur von fachlich speziell ausgebildeten Psychologinnen bzw. -Psychologen professionell diagnostiziert werden kann. Lehrkräfte können hoch und überdurchschnittliche begabte Schülerinnen und Schüler in der Regel eher dann erkennen, wenn diese zugleich sehr gute Leistungen bzw. Schulnoten erbringen. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Hochbegabte überwiegend unauffälliges Verhalten zeigen und sich im nicht-intellektuellen und sozialen Bereich nicht oder nur kaum vom Klassendurchschnitt unterscheiden.

2.2 Hochbegabte und Hochleistende

Die Parallelität von exzellenter Begabung und exzellenten Leistungen bzw. Schulnoten ist jedoch nicht immer gegeben. Im Einzelfall besteht kein zwingender Zusammenhang zwischen intellektueller Hochbegabung und herausragenden Leistungen bzw. sehr guten Schulnoten. Es ist daher systematisch zu unterscheiden zwischen intellektuell Hochbegabten und auch Hochleistenden (Klassenbeste, „Einserschüler“); nach vorliegenden empirisch belegten und repräsentativen Studien sind beide Schülergruppen keineswegs identisch. D.h. die Gruppe der Schülerinnen bzw. Schüler mit ausgezeichneten Schulnoten muss keinesfalls mit der Gruppe der intellektuell Hochbegabten identisch sein, und die Hochbegabten sind nicht durchgehend durch außergewöhnliche Leistungen bzw. sehr gute Noten identifizierbar, wenngleich es zwischen beiden Gruppen einen breiten Überschneidungsbereich gibt. Hochbegabung kann folglich durchaus mit nicht im Spitzenfeld liegenden Leistungen und Schulnoten und – in geringem Prozentsatz – sogar mit Verhaltensauffälligkeiten und Schulversagen einhergehen.

Vor diesem Hintergrund ist vor der Konzipierung und Realisierung von spezialisierten Fördermaßnahmen genauestens abzuklären, welche Zielgruppe sie ansprechen sollen, auf welche Weise diese Zielgruppe zutreffend identifiziert und mit der Maßnahme zusammengebracht und wie die Maßnahme auf die Bedürfnisse und Voraussetzungen dieser Zielgruppe passgenau abgestimmt werden kann.

2.3 Minderleistung bzw. „Underachievement“

Wenn man – nach überwiegender wissenschaftlicher Konvention – ab einem diagnostizierten Intelligenzquotienten von 130 von intellektueller Hochbegabung spricht, sind zwei Prozent der Schülerschaft als hochbegabt zu bezeichnen, unter denen wiederum ca. 12 - 15 Prozent den sogenannten hochbegabten „Underachievern“, die erwartungswidrige schulische Minderleistungen erbringen, zuzurechnen sind. Bei diesen können, wenn sie nicht frühzeitig als solche erkannt und in geeigneter Weise gefördert werden, die durchschnittlichen Instrumentarien des regulären Schulwesens durchaus an ihre Grenzen stoßen, woraus in Einzelfällen schulisches Scheitern mit allen negativen Begleiterscheinungen und Folgeproblemen resultieren kann.

Intellektuelle Hochbegabung ist somit kein einheitlich auftretendes Phänomen, das von psychologischen Laien mit Hilfe eindeutiger Erkennungskriterien festgestellt und von der Pädagogik mittels gleichförmiger bzw. allgemeingültiger schulischer Angebote gefördert werden kann. Hochbegabung ist – nach abgesicherten wissenschaftlichen Studien – bei der überwiegenden Mehrzahl der Betroffenen mit guter bis sehr guter sozialer Einbettung und Beliebtheit sowie psychischer Stabilität gekoppelt. Nur in ca. 12 - 15 Prozent der Auftretenshäufigkeit kann intellektuelle Hochbegabung zum Teil mit psychischen bzw. sozialen Auffälligkeiten und Problemen einhergehen. In diesen Fällen ist allerdings z.T. intensive und umfassende psychologische bzw. therapeutische Hilfestellung angezeigt.

Da von „Underachievement“ mitsamt besonderen Schwierigkeiten betroffene Kinder oder Jugendliche und ihre Familien nicht selten eine längere schulische und gesellschaftliche Leidensgeschichte durchlaufen, wurde und wird das in der öffentlichen Berichterstattung in den Medien zu findende Bild Hochbegabter häufig in verzerrenden Extremvarianten gezeichnet, was wiederum einen nüchternen und pragmatischen Zugang zu dem Thema überhaupt verstellen oder zumindest erschweren kann. Dennoch ist Hochbegabung keineswegs generell oder auch überwiegend eine Frage von grundsätzlichem Anderssein, ungewöhnlicher Problembehaftung oder notorischem Außenseitertum.

2.4 Begabungsdiagnostik

Allgemein lässt sich aussagen, dass im regulären Schulunterricht Hochbegabte zunächst möglichst gemeinsam mit ihren Klassenkameradinnen und -kameraden in ihrem Leistungswillen und in ihren Anstrengungen anerkannt, unterstützt und gefördert werden sollten. Hochbegabte benötigen – wie alle anderen Begabungen ebenfalls – den sozialen Kontakt und die zwischenmenschlichen Erfahrungen mit allen übrigen vorkommenden Begabungen und Leistungsfähigkeiten, da sie sich auch in ihrem gesamten späteren Leben inmitten einer Pluralität unterschiedlich Begabter und Leistender zurechtzufinden haben.

Die Durchführung einer fachpsychologischen Intelligenz- bzw. Begabungsdiagnostik ist in aller Regel nur in zwei speziellen Fällen angezeigt:

  • wenn Problembelastungen oder Konfliktsituationen vorliegen, die psychische Kosten verursachen und negative Auswirkungen auf die Schullaufbahn haben können,
  • wenn über eine Aufnahme in separierende und/oder anspruchsvolle Förderprogramme, die nur für eine in ganz bestimmter Weise definierte Zielgruppe bestimmt sind und für hierfür Ungeeignete gravierende negative Folgen (etwa dauernde Überforderung und Scheitern) befürchten lassen, zu entscheiden ist.

Aus einem vorliegenden begabungsdiagnostischen Gutachten können Förderhinweise für die pädagogische Praxis aus fachpsychologischer Sicht enthalten. Fachlich hochwertige Gutachten erläutern und begründen die Diagnostik und erörtern mögliche Förderwege für den Schulunterricht. Auf dieser Grundlage sollten im Einzelfall – d.h. zumindest im problematischen Einzelfall – unter Einbeziehung der örtlich Betroffenen (Eltern, Schülerin bzw. Schüler, Beratungsstelle, Schulpsychologin bzw. -psychologe, Lehrkräfte, Schulaufsicht usw.) individualisierte Fördermaßnahmen angestrebt werden, wobei auch die an der jeweiligen Schule vorhandenen personellen und sächlichen Ressourcen sowie Fortbildungsmöglichkeiten berücksichtigt werden müssen. Es dürfen keine Förderkonzepte gegen den Willen einer bzw. eines der Betroffenen erzwungen werden. Das Kultusministerium kann nicht als eine Art „Schiedsrichter“ im Falle von Streitigkeiten zwischen den Beteiligten fungieren; alle Lösungswege sind daher vor Ort im Konsens festzulegen und umzusetzen.